Ärztliche Beratungsstelle an Kinderklinik stellt Jahresbericht 2019 vor

Bilanz zum Kindeswohl in der Region

Die Ärztliche Beratungsstelle gegen Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern und Jugendlichen e.V. (ÄB) an der Siegener DRK-Kinderklinik stellte Ende April ihren Jahresbericht 2019 vor. Darin vermeldet Antje Maaß-Quast, die Fachkraft der Einrichtung, mit 192 Fällen erneut gestiegene Fallzahlen für die Region. Darüber hinaus haben 32 professionelle Helfer von Jugendämtern, Familienhilfeeinrichtungen, Schulen und Familientagesstätten kollegiale Beratung in Anspruch genommen. „Das Jahr 2019 war gekennzeichnet durch eine intensive Einzelfallarbeit, bei der oft eine fallbezogene Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, insbesondere mit den Jugendämtern und der Kinderschutzgruppe (KSG) der DRK-Kinderklinik stattgefunden hat. Die Gesamtzahl der betreuten Familien hat gegenüber dem letzten Jahr zugenommen, seit Anfang 2018 stieg die Fallzahl um mehr als 32% an“, erläutert Maaß-Quast.

Der Anstieg der Zahlen begründet sich in der intensiven Öffentlichkeitsarbeit durch regelmäßige Fortbildungen im Bereich der Beratungsstelle sowie der Kinderschutzgruppe und der guten Vernetzung mit anderen Institutionen der Jugendhilfe und der Justiz. Ein weiterer Effekt besteht wahrscheinlich in der wachsenden Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit auf Länder- und Bundesebene durch die „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs“ und die voranschreitende Platzierung der Themen in öffentlichen Institutionen und der Öffentlichkeit allgemein.

Das frühe Erkennen von körperlichen und psychischen Anzeichen bei Kindeswohlgefährdung ist wichtige Voraussetzung für einen gelingenden Kinderschutz. Um eine „Kultur des Hinsehens“ zu fördern und die Handlungsfähigkeit von Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern sowie sozialpädagogischen Fachkräften zu stützen, wurde 2019 zweimal die Fortbildung „Erkennen und Vorgehen bei Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellem Missbrauch bei Kindern und Jugendlichen“ in Zusammenarbeit mit Dr. Beyerlein, Chefarzt und Leiter der Kinderschutzgruppe, in der Kinderklinik angeboten. Die Fortbildung war bei jedem Termin mit knapp 60 Teilnehmern ausgebucht, das Angebot wird 2020 fortgeführt. Um bereits Auszubildende in pädagogischen und pflegerischen Berufen für die Thematik zu schärfen und zu sensibilisieren, unterrichtet Maaß-Quast regelmäßig in den Schulen des Berufskollegs AHS und im Rahmen der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege-Ausbildung am BiGS (Bildungsinstitut für Gesundheitsberufe Südwestfalen).

Die Vernetzung mit anderen Institutionen und die Teilnahme an Helferkonferenzen und Arbeitskreisen zu der Thematik sind für einen effektiven Kinderschutz ebenso erforderlich wie eine multiprofessionelle Zusammenarbeit in konkreten Fällen. Die ÄB arbeitet daher eng mit dem interdisziplinären Team der Kinderschutzgruppe (KSG) und der Kinderschutzambulanz (KSA) der DRK-Kinderklinik zusammen. Neben der Zusammenarbeit in den Akutfällen trifft sich das Team regelmäßig zum Austausch. Durch die Zusammenarbeit der KSG, der KSA und der ÄB gelingt eine vollständige Begleitung der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern. Die Begleitung reicht von der ersten Einschätzung der Gefährdung über die Betreuung der Betroffenen und deren Familienmitglieder bis hin zur Nachbetreuung. Zugenommen haben in diesem Zusammenhang wahrzunehmende Termine zur Zeugenaussage bei der Kripo und die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen. Die notwendige Vernetzung mit den niedergelassenen Pädiatern und den niedergelassenen Kinder-und Jugendpsychiaterinnen hat sich weiterentwickelt. Im Frühjahr wurde in Kooperation mit der Universität Siegen eine Veranstaltung für StudentInnen der Sozialpädagogik zum Thema „Kindeswohlgefährdung – Kinderschutz – Zusammenarbeit mit Jugendhilfe“ von der Ärztlichen Beratungsstelle ausgerichtet. Darüber hinaus wurde ein Vortrag im Fachbereich Biologie im Rahmen einer Seminarveranstaltung für LehramtsstudentInnen gehalten, der auf positives Echo stieß und zu weiteren Kooperationen führte.

DRK Präsidentin Gerda Hasselfeld ließ sich im Rahmen ihres Besuchs der DRK-Kinderklinik Siegen im September 2019 das Konzept und die Aufgabenbereiche der Ärztlichen Beratungsstelle und die Zusammenarbeit mit der Kinderschutzgruppe erläutern. Im Oktober 2019 fand ein Treffen mit Landrat Andreas Müller statt. Im gemeinsamen Austausch über das Konzept und die Arbeitsweise der ÄB sowie die stark zunehmenden Fallzahlen wurden Möglichkeiten finanzieller und ideeller Unterstützung besprochen. Als Ergebnis der gemeinsamen Verhandlungen wurde im Dezember die zukünftige Finanzierung einer zusätzlichen halben Stelle für die ÄB durch den Kreis Siegen-Wittgenstein beschlossen. Eine überregionale Zusammenarbeit und Koordinierung im Bereich Kinderschutz besteht weiter durch die jeweiligen Mitgliedschaften der ÄBs in der „AG Kinderschutz in der Medizin“ (KiM, www.ag-kim.de) und in der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention (DGfPI, www.dgfpi.de). Bereits seit März 2018 ist das Angebot der Ärztlichen Beratungsstelle auf der Informations- und Beratungsplattform KidKit.de (www.kidkit.de/hilfe-vor-ort ) genannt und verlinkt.

Die Familien mit Beratungsbedarf kamen überwiegend aus der Stadt Siegen 40% (wie auch im Vorjahr) und dem Kreis Siegen-Wittgenstein 33%; (2018: 39%). Fasst man Stadt Siegen und Kreis Siegen-Wittgenstein zusammen, sind das insgesamt 73% aller Fälle (im Vorjahr 79%). Der Anteil der Fallmeldungen aus dem Kreis Olpe ist im Jahr 2019 auf 18% angestiegen (von 13% in 2018). Ebenso wurden mehr Meldungen aus Rheinland-Pfalz registriert, 6% gegenüber 3%, im Vorjahr. 1% der Meldungen kam aus Hessen, im Vorjahr waren es 3%. Rest-NRW ist mit 4% der Meldungen gleich geblieben.

Im Jahr 2019 bezogen sich 109 Beratungsanfragen auf Mädchen und junge Frauen, 83 Anmeldungen auf Jungen (2018: 104/70). Der Anteil der Beratung von Mädchen und Frauen an den gesamten Beratungsfällen beträgt damit 57% (2018: 60%). Der Anteil der Beratung von Jungen beträgt 43% (2018: 40%). Die Verteilung hat sich also im Vergleich zum Vorjahr etwas verändert. Größere Unterschiede der Meldezahlen nach Geschlechtern zeigen sich in diesem Jahr im Bereich der unter 3-jährigen Kinder, hier liegt die Fallzahl der Jungen deutlich über der Zahl der gemeldeten Mädchen (gleich zu 2018). Wie auch in den Berichtsjahren zuvor dominieren ab dem Kindergartenalter die Anmeldungen der Mädchen. Bei Anmeldung wird zwischen Selbst- und  HERUNTERLADEN:Fremdmeldern unterschieden. Der Anteil von Selbstmeldern ist im Vergleich zum Vorjahr (37%) rückläufig und liegt bei 28%. Der Anteil der Fremdmelder hat mit 72% zugenommen (63% in 2018). Bei denen von uns als Selbstmelder verzeichneten Klienten sollte dazu noch berücksichtigt werden, dass diese teilweise auf Anraten z.B. des Jugendamtes oder der Polizei Kontakt zu uns aufnehmen, zum anderen ist es durch die enge Vernetzung mit der Kinderschutzgruppe als eigenem Melde- oder Zugangsweg nicht immer möglich genau zu differenzieren, wer sich letztendlich gemeldet hat. Bei den Selbstmeldern überwiegen nach wie vor Mütter, die sich an die Beratungsstelle wenden. Bei den Fremdmeldern haben die Meldungen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter zugenommen. Hinsichtlich des Vorstellungsgrundes betrug der Anteil der Misshandlungssyndrome (sexueller Missbrauch, Kindesmisshandlung, Vernachlässigung) für die Gesamtgruppe 99% (2018: 94%) und machte damit den weitaus größten Teil der Anmeldungen aus. Bei 21% der Anmeldungen (2018: 34%) – wurde häusliche Gewalt bzw. emotionale Misshandlung als einer der Anmeldegründe genannt. Vernachlässigung wurde insgesamt in 10% der Fälle genannt (2018: 8%). Beratungsbedarf für sexuell übergriffige Kinder/Jugendliche war in 15 Fällen der Anmeldegrund (2018: 7), ist im Vergleich zum Vorjahr somit deutlich angestiegen.  Bei den Mädchen stand wie im Vorjahr mit Abstand (62%) der Verdacht auf sexuelle Misshandlung an erster Stelle. Bei den Jungen ging es in diesem Jahr bei den Anmeldungen vorwiegend um den Bereich der körperlichen Misshandlung (60%), gefolgt von dem Verdacht auf emotionale Misshandlung (34%). Der Verdacht auf sexuellen Missbrauch wurde in 29% der Anmeldungen bei den Jungen genannt (2018: 27%). Zugenommen haben die Meldungen bei den Jungen im Bereich der Abklärung sexueller Übergriffe/Misshandler (14 Fälle in 2019 zu 2 in 2018). Der überwiegende Teil der vorgestellten Jungen zu dieser Thematik lebte in einer Patchworkfamilie oder in Wohngruppen.

Multiprofessionelle Zugänge der Diagnose, Beratung und Therapie bekommen so für die betroffenen Kinder und Familien eine ganz besondere Bedeutung. Hier liegt eine große Chance, aber auch eine besondere Herausforderung in der Zusammenarbeit der verschiedenen Abteilungen der Kinderklinik im Blick auf eine gelingende und auf das Kindeswohl ausgerichtete Vernetzung untereinander und mit Institutionen nach außen.

„Viele Kategorien wie Erziehungsschwierigkeiten, Familienprobleme und Sonstiges decken eine hohe Bandbreite unterschiedlichster Problemfelder ab. In den letzten Jahren sind Themen wie „Kinder als Zeugen von Gewalt“, familiäre Belastungen durch Drogen, Alkohol oder psychische Erkrankung eines Elternteils und zuletzt zunehmend eskalierte Trennungskonflikte in Scheidungsfällen hinzugekommen“, stellt die erfahrene Systemische Supervisorin und Kinder- und Jugendlichentherapeutin (SG) in ihrem Bericht 2018 klar.

Deutlich wird, dass Misshandlungssyndrome nicht isoliert betrachtet werden können. Viele begleitende Schwierigkeiten sind entweder unmittelbare Folge des Misshandlungskontexts oder Ausdruck genereller Belastung sowie mangelnder Ressourcen in den vorgestellten Familien.

Eine fundierte Beratung bzw. therapeutische Begleitung muss zwingend auch auf diese anderen Symptome eingehen. Gleichzeitig beleuchtet dieser Sachverhalt noch einmal die Funktion der Beratungsstelle als Clearingstelle: Ein nicht unwesentlicher Teil der Arbeit dient der Klärung von Vorgehensweisen zur Hilfeeinleitung, der Hilfeplanung sowie der Entwicklung und Organisation von Maßnahmen für das Kind. Dies ist insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, die im Bereich von möglicher oder offenkundiger Vernachlässigung leben, ein mühsamer Arbeitsprozess, da oftmals der Handlungsdruck vordergründig fehlt.

Finanziert wird die Stelle zum Großteil von Mitteln der Stadt Siegen, des Kreises Siegen-Wittgenstein sowie vom Land NRW. Die DRK-Kinderklinik Siegen stellt zudem die Räumlichkeiten zur Verfügung. Aber auch Spenden helfen dabei, diese Einrichtung und deren Arbeit mit den Betroffenen zu ermöglichen.

All diese Zahlen zeigen deutlich auf, wie wichtig eine solche Beratungsstelle für die Region ist. „Dabei steht bei all der professionellen Herangehensweise immer ein Leitsatz im Vordergrund: „Hilfe statt Strafe“ ist unser primäres Ziel“, fasst Maaß-Quast ihre Arbeit kurz zusammen. Unter dem Aspekt, dass gerade in der jetzigen Zeit von Corona und den damit verbundenen geschlossenen KiTAs und Schulen, viele Kinder und Jugendliche keinen oder kaum Kontakt mit entsprechenden Betreuungs- und Lehrkräften haben, bitten die Kinderschutzfachkräfte der Kinderklinik explizit darum, in Krisensituationen im häuslichen Umfeld telefonisch oder persönlich Kontakt aufzunehmen und professionelle Hilfe jederzeit in Anspruch zu nehmen.

HIER KÖNNEN SIE SICH DEN JAHRESBERICHT 2019 HERUNTERLADEN…

 

 

Quelle/Foto:
DRK-Kinderklinik Siegen

 

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