Kinderarzt: Lebensmittelwirtschaft trägt Mitverantwortung für grassierendes Übergewicht

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Lidl schafft in Großbritannien die sogenannten „Quengelkassen“ab. Die Verbraucherorganisation foodwatch fordert nun, dass auch in Deutschland Süßigkeiten aus dem Kassenbereich von Dicountern und Supermärkten entfernt werden sollten.

Lidl hat angekündigt, in seinen Filialen in Großbritannien die sogenannten „Quengelkassen“ abzuschaffen: Anstatt Süßigkeiten sollen im Kassenbereich zukünftig Produkte wie Obst oder Nüsse angeboten werden, um Eltern das Einkaufen mit Kindern zu erleichtern. Die Verbraucherorganisation foodwatch begrüßte die Maßnahme und forderte die Supermarktkette auf, jetzt auch in Deutschland Süßigkeiten und Snacks von den Kassen zu entfernen. Der Kinderarzt und Diabetes-Experte der Uni-Klinik Leipzig, Prof. Dr. Wieland Kiess, nahm zudem die Lebensmittelbranche in die Pflicht, ihre Mitverantwortung für Fehlernährung und Übergewicht bei Kindern ernst zu nehmen.

„In Großbritannien tauscht Lidl Süßigkeiten gegen Obst – aber in Deutschland schreit das Junkfood an der ‚Quengelkasse‘ weiterhin direkt auf Augenhöhe von Kindern ‚kauf mich!'“, kritisierte Oliver Huizinga, Experte für Kinderlebensmittel bei foodwatch. Die Verbraucherorganisation forderte den Handelskonzern auf, auch in seinen Filialen in Deutschland sämtliche Süßigkeiten, unausgewogene Snacks und Soft Drinks aus den Kassenbereichen zu entfernen. Unter www.foodwatch.de/aktion-lidl hat foodwatch eine E-Mail-Protestaktion gestartet, über die jeder die Forderung unterstützen kann. Oliver Huizinga: „Gegenüber britischen Eltern will Lidl seiner Mitverantwortung für die gesunde Ernährung von Kindern offenbar gerecht werden. In Deutschland hingegen werden an der Kassenschlange schon die Kleinsten weiterhin auf Süßigkeiten, Snacks und Soft Drinks angefixt. Lidl provoziert mit dem Junkfood in der Quengelzone gezielt Konflikte in Familien und macht es Eltern unnötig schwer, ihre Kinder gesund zu ernähren. Damit muss Schluss sein.“

Auch Wieland Kiess, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uni Leipzig, begrüßte den Schritt von Lidl in Großbritannien und forderte, die Lebensmittelindustrie stärker in die Pflicht zu nehmen, wenn es um die Prävention von Übergewicht und ernährungsbedingten Erkrankungen geht: „Handel und Lebensmittelhersteller dürfen sich nicht länger mit dem Argument herausreden, allein die Eltern seien verantwortlich und müssten eben einfach lernen ’nein‘ zu sagen. Die Lebensmittelbranche trägt mit ihrem Produktangebot und ihrem massiven Marketing an Kinder eine gehörige Mitverantwortung für das grassierende Übergewicht bei jungen Menschen, denn sie drängt Kindern ständig, an jeder Ecke und mit perfiden Tricks ungesunde Lebensmittel auf. Für viele Eltern ist es unmöglich, allein dagegen anzukommen.“

Britischen Medienberichten zufolge hatte Lidl vor kurzem angekündigt, in seinen rund 600 Filialen auf der Insel „Quengelware“ aus dem Kassenbereich zu verbannen. Stattdessen sollten Produkte wie Obst oder Nüsse angeboten werden. Lidl begründete den Schritt explizit damit, dass es für Eltern häufig sehr schwer sei, gegenüber quengelnden Kindern „nein“ zu sagen. Durch das Entfernen von Süßigkeiten und Schokolade aus den Kassenbereichen wolle man es deshalb Eltern leichter machen, Kinder mit gesünderen Produkten zu belohnen.

Der Kassenbereich gilt im Supermarkt als eine der umsatzstärksten Zonen. Neben Tabakwaren verkaufen sich hier vor allem Schokolade und Süßigkeiten sehr gut. Kinder in Deutschland essen nur die Hälfte der empfohlenen Menge an Obst und Gemüse, aber weit mehr als 200 Prozent der empfohlenen Menge an Süßwaren, Snacks und Softdrinks. Der Anteil übergewichtiger Kinder ist im Vergleich zu den 80er- und 90er-Jahren um 50 Prozent gestiegen. Heute gelten 15 Prozent der Kinder als zu dick, 6 Prozent sogar als fettleibig (adipös). In einem umfassenden Marktcheck hatte foodwatch im März 2012 Kinderlebensmittel untersucht. Das Ergebnis: Bei rund 75 Prozent aller 1.500 untersuchten Produkte handelt es sich um süße und fette Snacks, die nach den Empfehlungen des vom Bundesernährungsministerium geförderten „aid infodienst Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz“ nur „sparsam“ verzehrt werden sollten.

Quelle: foodwatch

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