Endstation „Leben im Bett“?

Anaesthesie

Jeder Mensch beschäftigt sich anders mit dem Sterben und dem Tod. Jeder zu einer anderen Zeit und zu unterschiedlichen Anlässen. Die eigene Erfahrung zum Leben, Sterben und Tod wird immer wieder überprüft und korrigiert. Das eigene Verhalten gegenüber Sterbenden oder deren Angehörigen gestaltet sich dabei auch unterschiedlich. Auch Menschen in ihrer letzten Lebensphase durchlaufen einen Lernprozess. Sie empfinden ihre Bewegung, mit der sie sich an anpassen. Helfende können da ansetzen und in ihrer Bewegungskompetenz geschult diese bei der Interaktion mit schwerstkranken Menschen sensibel und mannigfaltig einbringen.

Im St. Marien-Krankenhaus Siegen wird im interdisziplinären Palliativbereich, der von Katharina Weber-Yamoah pflegerisch geleitet wird, das Konzept „Menschliche Funktion – Fortbewegung“ eingesetzt. Die Kinaestetics Peer Tutorin berichtet von einem 50-jährigen Patienten, bei dem ein Prostata-Karzinom diagnostiziert wurde und bei dem sich bereits Metastasen in der Wirbelsäule gebildet haben. Er kam von einer operativen Station in den Palliativbereich und war querschnittsgelähmt. Zudem hatte er eine Depression. Bislang war der Patient hauptsächlich im Bett versorgt worden und hatte nur einmal vor dem Bett gestanden. „Bei der Aufnahme wollte ich mir ein Bild von seiner Bewegungsunfähigkeit machen und habe ihn über die Seite zum Sitzen kommen lassen. Dann habe ich ihn angeleitet, im Schenkelgang den Transfer zum Stuhl zu bewältigen“, so Katharina Weber-Yamoah. „Dies war schier unfassbar für den Patienten. Dieser glaubte, er könne gar nichts mehr und müsse sich mit einem Leben im Bett abfinden – sterben werde er o nehin bald.“

Der Patient ist während seiner Behandlung in der Strahlentherapie immer mehr aufgeblüht und zu jeder Mahlzeit an den Tisch gegangen. Auch konnte er sich selbst im Bad versorgen. Nach vier Wochen konnte er dank Palliativ-Komplexbehandlung, die in enger Zusammenarbeit mit der Physiotherapie durchgeführt wird, mit Unterarmstützen über den Flur gehen. „Wir haben es geschafft, ihm wieder Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten zu geben. Es ist uns trotz seiner Depression gelungen, ihn zu fordern – das zu tun, was er kann“, so die pflegerische Leiterin des Palliativbereichs.

Der Patient hat gelernt, wie er sein Gewicht unter Zuhilfenahme seiner Arme verlagern und sich dann in kleinen Schritten fortbewegen kann. Dabei überprüfte und gestaltete er seine Umgebung für sich passend. Die Pflegenden unterstützten ihn an den Beinen, so dass er sich auf die Gewichtsverlagerung und Bewegung im Oberkörper konzentrieren konnte. Die kleinen Fortbewegungsschritte ermöglichten ihm, Kontrolle zu behalten und Sicherheit zu empfinden.

Hintergrund

Seit über zehn Jahren werden Mitarbeiter im St. Marien-Krankenhaus Siegen in Kinaesthetics geschult. Das Konzept wird dabei in unserschiedlichen Pflegesituationen angewendet. Das Beispiel des inzwischen verstorbenen Patienten im Palliativbereich zeigt, wie sich das Verhalten wandeln kann, wenn Menschen in ihren Kompetenzen wachsen. Kinaestetics trägt hierzu positiv bei, die Alltagsbewegung und deren Gestaltung zu verstehen sowie für den Patienten die passende Lösungsidee für seine Beeinträchtigung zu finden. Damit wird die Lebensqualität in der letzten Lebensphase deutlich verbessert.

Quelle/Foto: St. Marien-Krankenhaus Siegen

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