Gefährliche Anziehungskraft: Sucht und Psyche

Psychotherapeut Georg Weil zeigt beim Forum Gesundheit Therapiemaßnahmen auf

Psychotherapeut Georg Weil machte im Diakonie Klinikum Jung-Stilling deutlich, dass die Doppeldiagnose Sucht- und psychische Erkrankung gleichzeitig spezialisiert therapiert werden muss.


Siegen. Ein Suchtverhalten geht nicht selten mit einer psychischen Erkrankung einher. Ob das psychische Leiden dabei „Henne oder Ei“ ist, spielt für die Behandlung keine Rolle. „In der Therapie müssen beide Krankheiten parallel angegangen werden“, machte Oberarzt Georg Weil im Diakonie Klinikum Jung-Stilling deutlich. Der dortige Facharzt für Anästhesiologie, Psychiatrie und Psychotherapie referierte beim Siegener Forum Gesundheit, das von der Selbsthilfekontaktstelle der Diakonie in Südwestfalen in der Krankenhaus-Cafeteria organisiert wurde.

Suchtformen werden in zwei Kategorien unterteilt. Zu den bekanntesten stoffungebundenen Abhängigkeiten zählen Online-, Spiel- und Kaufsucht. Unter die stoffgebundenen Süchte fallen Alkohol, Medikamente und Nikotin sowie illegale Drogen wie Kokain, Cannabis und Heroin. Georg Weil verwies auf die Gemeinsamkeiten: „Der Konsum wirkt auf Suchtkranke bewusstseins- und wahrnehmungsverändernd. Das Suchtmittel ist immer in ihren Köpfen präsent. Sie verspüren einen Konsum-Zwang.“ Der Fachmann ist im Freudenberger Diakonie Klinkum Bethesda in der qualifizierten Entzugstherapie tätig und erläuterte Aspekte aus der Praxis. Wirkungen, die sich Betroffene häufig durch den Konsum erhoffen seien Flucht vor Problemen, Kontaktfreudigkeit, Angstabbau und Genuss. „Je mehr ein Mensch in die Abhängigkeit rutscht, desto größer wird seine Sucht-Toleranz“, so Weil. Betroffene brauchen demnach eine immer größere Menge der Droge, um den gewünschten Effekt zu erzielen.

Am Beispiel Alkohol erläuterte der Facharzt Zahlen. Laut Weltgesundheitsorganisation ist von einem riskanten Alkoholkonsum die Rede, wenn Männer mehr als 24 Gramm und Frauen mehr als 12 Gramm reinen Alkohol täglich zu sich nehmen. Ein Vergleich: 10 Gramm reinen Alkohol enthält ein 0,2-Liter-Bierglas, 18 Gramm ein 0,2-Liter-Weinglas. Treten nachweislich Folgeschäden für die psychische oder physische Gesundheit auf, liegt ein schädlicher Alkoholkonsum vor. Anhand von Bildern veranschaulichte Weil, wie Suchtmittel im menschlichen Gehirn wirken. „Suchtmittel greifen besonders stark ins Belohnungssystem ein. So unterschiedlich Süchte auch sind, allesamt sorgen sie für ein erhöhtes Freisetzen von Dopamin.“ Die Rede ist von einem Hormon, das im Gehirn ausgeschüttet wird, positive Gefühle auslöst und ebenso bei Nahrungsaufnahme, Sexualität und in Erfolgsmomenten aktiv ist. Das Fatale an einem Suchtmittelkonsum ist laut dem Fachmann, dass es zu einer Überbelohnung kommt. Die Folge: Betroffenen bereitet nichts anderes mehr Freude. Um tristen Gefühlen zu entkommen, konsumieren sie immer größere Mengen, und der Weg für eine psychische Begleiterkrankung kann sich anbahnen. Umgekehrt kann es passieren, dass sich beispielsweise depressive Menschen nach dem Genuss von Alkohol positiv fühlen. Auch das kann in eine gefährliche Spirale führen. Mit regelmäßigem Konsum reagiert das Belohnungssystem nur noch auf den Suchtstoff. Klingt der Rausch ab, stürzen sich Betroffene immer mehr in den Konsum und auf die psychische kann eine Suchterkrankung folgen.

Neben Depressionen und Angststörungen nannte Georg Weil auch Psychosen als typische Begleiterscheinungen. Dabei haben Suchtkranke einen gestörten Realitätsbezug – oft verbunden mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen und einer gestörten Denkweise. Mit hinzu zählt der alkoholische Eifersuchtswahn, bei dem Betroffene ohne Zweifel davon überzeugt sind, dass ihr Partner fremdgeht.

Die Doppeldiagnose Sucht- und psychische Erkrankung kann sich im Laufe der Zeit immer negativer entwickeln und ist ohne fachgerechte Hilfe nur schwer für Betroffene zu überwinden. Für einen Therapieerfolg ist es laut Weil wichtig, die Leiden früh zu erkennen und nie losgelöst von der Begleiterkrankung zu therapieren. Andernfalls besteht nach Therapieschluss ein hohes Rückfallrisiko. Der erste Schritt ist die Einweisung – beispielsweise vom Hausarzt –  für eine stationäre Therapie. In einer Klinik beginnt für zwei Wochen der qualifizierte Entzug, auch Entgiftung genannt. Zudem wird ein psychiatrischer Befund erhoben, inklusive Therapie der psychischen Begleiterkrankung mit gegebenenfalls psychopharmakologischen Medikamenten. Hinzu kommen unter anderem Gruppen- und Ergotherapien, Hirnleistungstraining, Einzel-, Angehörigen- und Partnergespräche. Zudem werden den Betroffenen in der qualifizierten Entzugsbehandlung verschiedene Selbsthilfegruppen vorgestellt. Georg Weil: „Die sind für Suchtkranke besonders wichtig. Zu wissen, mit seinem Problem nicht alleine zu sein und von positiven Erfahrungen anderer zu lernen, spielt für das Therapieziel eine sehr große Rolle.“ Abgeschlossen wird der Aufenthalt mit einem Plan für die weiterführende Behandlung und Betreuung, etwa in einer medizinischen Rehabilitationseinrichtung, bei Suchtberatungsstellen und in Selbsthilfegruppen.

Quelle: Diakonie SüdWest

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